BlogbeitragWie geht Abschied?

Wie geht Abschied?

Vom Loslassen und großzügig sein können und trauern, wenn Mitarbeiter*innen weiterziehen.

  • Nicht im Leben hatte ich vor, über das Thema Abschied einen Blogartikel zu schreiben. Gemeint ist in diesem Fall der Abschied von eng verbundenen, verwurzelten, langjährigen Mitarbeiter*innen. Viel zu persönlich, zu emotional, zu wenig vorzeigbar erschien mir das Thema.

    Aber mein Team, meine klugen, mutigen, erfahrenen Mitstreiter*innen haben mich ermutigt und überzeugt, mich zu trauen. Zu zeigen, wie aus umfänglicher Trauer, Verletzung, Befürchtungen etwas Neues entstehen kann.

    Und tatsächlich ist das Thema Abschied, eine Aufgabe, die in allen Unternehmen auftaucht. Es gibt viele verschiedene Abschiede – aufgrund von Veränderungswünschen, Renteneintritten, wegen Umzügen, temporäre Abschiede in Eltern- oder Pflegezeit, Sabbaticals und Weltreisen aber auch Abschiede für immer – aufgrund von Krankheit oder Tod. Immer müssen Teams damit klar kommen. Die Lücke schließen, die neue Dynamik aushalten.

    Wie viel Raum darf Abschied bekommen, wie sehr dürfen wir gemeinsam trauern oder funktionieren wir einfach und knallen uns die Kalender voll, um uns zu betäuben?
    Wie bei vielen anderen Themen und Zusammenhängen ist auch der Umgang mit dem Thema Abschied auch Ausdruck der gelebten Unternehmens-Kultur, der Werte, der genehmigten oder vereinbarten Rituale und wie ich gerade jüngst feststellen konnte – auch der Umgang mit Gefühlen, die manchmal fast unkontrollierbar über mich hereinbrachen.
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  • Aber von Anfang…für alle, die uns noch nicht oder nicht so gut kennen – unsere Agentur, die ideenmanufaktur, gibt es seit 2001. Wir sind eine Design- und Digitalagentur. Begonnen haben wir allerdings als Manufaktur mit großer Werkstatt und vielen Offline-Projekten. Unsere ersten festen Angestellten waren Kolleginnen im Bereich Buchhaltung und Büroorganisation. Aus diesem Grund kam damals Sandy im Jahre 2008 auch zu uns, über eine Empfehlung aus dem Netzwerk. Wir waren damals noch ein kleiner Laden. Im Wesentlichen stemmten Martin, mein Bruder, und ich die Projekte. Punktuell bei Events, Presse-Aktionen oder grafisch wurden wir unterstützt durch freie Mitarbeitende. Online steckte noch in den Kinderschuhen…

    Nach und nach wuchsen die Projekte, das Team wurde größer. Und mit dem Wachstum auch die Aufgaben und Themen für Sandy. Sie ist mit uns gewachsen, hat uns immer unterstützt – mit all ihrer Kraft. Hat uns niemals hängen lassen, selbst in Zeiten, in denen, sie selbst neue Kräfte sammeln musste. Wir konnten uns blind vertrauen und hätten einander unser letztes Hemd gegeben.
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  • In zwölf Jahren lernt und erlebt man unglaublich viel zusammen. Und diese gemeinsamen Erlebnisse verbinden auf unbeschreibliche, fast symbiotische Art und Weise. Es fühlt sich an wie eine Reise, von der man nie so richtig wusste, wo es hingeht. Das Einzige, was man sich nicht vorstellen konnte, war, dass diese Reise irgendwann ein Ende hat.

    Als nun unsere Sandy Anfang des Jahres, als Corona bereits vor der Tür stand und wir schon im ersten Krisenmodus waren, uns mit der Nachricht überraschte, dass sie sich nach langem Überlegen entschieden hat, in Berlin ihre Zelte abzubrechen und in deutlicher Entfernung in der Natur ein neues Kapitel ihres Lebens aufschlagen möchte, waren wir – gelinde gesagt – schockiert. Nicht, dass wir nicht doch immer mal winzige Gedankenfunken darauf verwendet hätten, uns vorzustellen, wie das Leben im Büro ohne sie wäre, haben es aber mangels Vorstellung wieder weit weggeschoben. Zu sehr waren wir miteinander verwoben, das Wissen, dass sich im Laufe der Jahre bei Sandy versammelt hatte, zu umfangreich und wichtig. Viel Energie spart man, wenn Abläufe synchronisiert, Rituale bekannt und Wünsche von den Augen abgelesen werden.

    Der Schock saß so tief, dass ich das Thema erstmal zum Abkühlen wegstellen musste. Zu heiß waren die Phantasien und ich hatte Angst, mich daran zu verbrühen. Nach mehreren Tagen Achterbahnfahrt im Kopf und einem ersten Gespräch mit meinem Bruder fand das erste Aufatmen statt. Wir gaben einander die Gewissheit, dass wir – wie immer – Lösungen finden würden, dass es anders wird, aber in jedem Falle weiter gehen wird. Mit einem Hauch der Hoffnung, basierend auf ähnlichen Erfahrungen, dass aus derartigen Situationen immer etwas Neues, etwas Anderes entstehen wird.
    Erstaunlich waren dennoch die Gefühle, die wie kleine hinterlistige Monster immer mal um die Ecke schielten. Das traurige kleine Monster am Meisten, manchmal begleitet von der kleinen Warum-gerade-jetzt-Wut, vom Schmerzzwerg oder der schmalen Hilflosigkeit.

    Aber Corona mit all seinen Facetten und Herausforderungen hatte uns bereits in einen Zustand neuer Beweglichkeit versetzt. Dinge, die vorher nicht möglich schienen, waren inzwischen Normalität. Und wir konnten den einzig wirklich gangbaren Weg der Großzügigkeit gehen. Nicht allein die Firma und die eigenen Bedürfnisse nach Sicherheit, Bequemlichkeit und Ruhe zu sehen, sondern großmütig und freigiebig sein oder es in diesem Zusammenhang zu üben. Im Zuge dessen konnten wir auch für die demnächst klaffende Lücke neue Ideen entwickeln und Möglichkeiten sehen, die vorher undenkbar oder zumindest für uns nicht sichtbar waren.
    Wie immer, wenn man aus dem Zustand des Ausgeliefertseins in den Modus der Planung kommt, geht es uns besser. Wir können handeln, wir haben wir das Steuer in der Hand.
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  • Nach ersten Ideen und auch sichtbaren neuen Chancen kam aber tatsächlich das Thema Abschied nehmen näher und intensiv in unseren Fokus. Wir mussten und wollten das Team informieren. Nicht leicht, in der Zeit einer Pandemie, großen gesellschaftlichen Veränderungen, Unsicherheiten und der physischen Distanz, wenn man der Trauer und dem kommenden Verlust nicht mit einer Umarmung und Nähe begegnen kann, sondern alles digital mit Sprache und über platte Bildschirme abhandeln muss. Da hilft, wenn ein Team vorher gut funktioniert hat, eine gemeinsame Resilienz entwickelt hat und wenn man aufbauen kann auf Vertrauen und Zusammengehörigkeit. Unser Dank gilt an dieser Stelle nochmal heiß und innig unserem Team, die mit Tatkraft und Gelassenheit sich auf die bevorstehenden Veränderungen eingelassen und mit uns kreativ an neuen Lösungen und Konstellationen gearbeitet hat.

    Wie nimmt man nun kollektiv Abschied, dass die Endlichkeit und Trauer Raum findet, es ein Team nicht lähmt sondern stärkt, aber dennoch auf gesunde Art und Weise der Blick auf die Zukunft gerichtet ist? Jedes Team ist da vermutlich anders. Unternehmen, die per se durch eine junge, internationale Belegschaft eine hohe Fluktuation haben, gehen mit Abschied anders um als Unternehmen wie wir, die wir viel Wert auf Verbindungen und langfristige vertrauensvolle Beziehungen legen, die uns erden und aus denen wir immer wieder viel Kraft schöpfen.

    Geholfen hat sicher, sich Zeit zu nehmen für das Thema, sich darüber verständigen, dass alles seine Zeit hat, egal wie schön und richtig sich etwas anfühlt. Traurigkeit und Verlust auszusprechen, Tränen zuzulassen, sich gemeinsamer Erinnerungen zu besinnen. Auch zu lachen und Mut zu machen.

    Der letzte Tag rückte näher, der Tag der Verabschiedung, das sich vorerst ein letztes Mal sehen. Die Frage kam auf, wie und ob wir es schaffen, das gesamte Team zusammen zu holen und wie wir den Tag gestalten. Fraglich war, ob die aktuellen Abstandsregeln es zulassen werden und das Wetter mitspielt?
    Am Ende waren es sehr berührende, traurige und zugleich lustige und liebevolle Stunden. Unser Kern-Team war komplett. Es war eben nicht nur ein Abschied sondern auch das erste gemeinsame Teamtreffen seit Monaten, seit dem Shutdown, der uns ziemlich schmerzhaft getrennt hat.
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  • Die Freude des Wiedersehens, eine Riesenportion Sushi und Erdbeertorte trug uns und vor allem Sandy hinweg über alle Tränen, Gefühle und das Wissen über Ende und Anfang. Alle waren für Sandy und füreinander da. Es waren sehr berührende Momente, die uns wirklich stolz und dankbar gemacht haben.

    Im Vorfeld haben wir unser großes Archiv durchsucht nach Fotos und Erinnerungen der zahlreichen Projekte, Partys, Weihnachtsfeiern, Teamtage, vom Umzug und aus dem Alltag. Daraus ist ein kleiner Film entstanden verbunden mit vielen Wünschen und einem dicken fetten Dankeschön – für Sandys Einsatz, ihre Kraft, Zuverlässigkeit, die Fürsorge und all das, was durch Sandy in der Agentur entstanden ist und auch weiterleben wird.

    https://youtu.be/_7Lz4_0kDks

    Sandys größter Wunsch ist mehr Zeit in der Natur verbringen und wandern zu können. Für diesen neuen Lebensabschnitt gab es einen kleinen leichten Wanderrucksack gefüllt mit vielen schönen und nützlichen Dingen. Und mit ausreichend Platz für viele neue Erlebnisse und Erfahrungen.

    Damit der Bruch für alle Beteiligten nicht so hart ist, wird uns Sandy aus der Ferne noch bis zum Ende des Jahres begleiten und Stück für Stück das neue Team bei der Buchhaltung und Büroorganisation unterstützen. Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne … ALLES GUTE, liebe SANDY!

    Eure Jana … mit einem kleinen weinenden und einem großen lachenden Auge.

    PS: schreibt uns wie immer gern Eure Erfahrungen, teilt mit uns, was Euch bewegt❤️